Betrug oder Vortäuschung falscher Tatsachen?
Beim Eintrag der Mutter unehelicher Kinder findet sich in Taufbüchern immer wieder vor der Anführung des Namens der Vermerk „angeblich“. Oftmals wird von Anfängern in der Familienforschung der Mutter unterstellt, dass sie ihre wahre Identität vorgetäuscht, oder der Pfarrer ihren Angaben nicht getraut hätte.
Zuerst einmal zum Wort „angeblich“:
Das Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart definiert es folgendermaßen:
Angêblich, adj. et adv. welches aus dem Oberdeutschen auch in das Hochdeutsche gekommen ist, wie angegeben, oder vorgegeben wird. Ein angeblicher Arzt, der sich für einen Arzt ausgibt, ein vorgegebener.i
Göthe definiert das Wort mit „vermutlich, vorgeblich, behauptetermaßen“ii
Diese Definition beschreibt die Bedeutung im gegenständlichen Sinn bereits sehr prägnant. Wie kam es nun zu diesen Vermerken in den Taufbüchern?
„Seit einigen Jahren sind mehrere Gebrechen bey der Führung der Geburtsbücher entdecket worden, welche daher entstanden, daß Seelsorger der christlichen Confessionen, und diejenigen, welche bey den Israeliten die Geburtsbücher führen, auf eine hinterlistige Art hintergangen wurden, Kinder von unehelicher Geburt, als ehelich gebohren, eingetragen, und auch bey unehelichen Kindern die Nahmen verehelichter Väter, als Väter einzuschreiben.“iii
Die Eintragung „angeblich …“
beruht auf dem Hofkanzleidekret vom 21.10.1813.iv Hier wurde geregelt, dass im Fall, dass die Mutter dem Taufpriester unbekannt war, zwei Zeugen die Identität der Mutter zu bestätigen hatten. Standen diese nicht zur Verfügung, hatte der Pfarrer den Vermerk „angeblich“ vor dem Namen der Mutter beizufügen.v In diesem Fall war seitens des Pfarrers eine Anzeige bei der Ortsobrigkeit zu machen. Diese sollte Erhebungen durchführen, ob der Name der Mutter richtig sei. Das Ergebnis der Erhebung hatte der Pfarrer im Geburtenbuch zu vermerken.
Ausgenommen waren Fälle von Geburten außerhalb der Ehe
Die Sicherheit über den wahren Namen der Kindesmutter war dann entbehrlich, wenn diese die uneheliche Geburt eingestanden hat und zugleich kein Anspruch auf Einschreibung des Vaters gemacht wurde.
„Ja die bestehenden Gesetzt verordnen mit Weisheit, verunglückten Personen, die Mütter außerhalb der Ehe geworden sind, das Geheimnisß ihres wahren Nahmens nicht zu entreissen.“ VI
In diesem Fall war die Erforschung des wahren Namens der Mutter durch Zeugenbeweis bzw. Anzeige bei der politischen Behörde zu unterlassen. Im Geburtenbuch war lediglich „angeblich“ anzumerken.vii
Vielleicht auch von Interesse
Einige Bemerkungen zum Familiennamen der Frauen und Kinder im 19. Jahrhundert: https://oefr.at/2020/12/05/einige-bemerkungen-zum-familiennamen-der-frauen-und-kinder-im-19-jahrhundert/
Die Pflegschaftsakten – eine Möglichkeit, Väter von unehelichen Kindern zu finden. (F. Gundacker): https://oefr.at/2018/08/16/die-pflegschaftsakten-eine-moeglichkeit-vaeter-von-unehelichen-kindern-zu-finden/
Kuckuckskinder – Zur Häufigkeit von außerehelichen Vaterschaften: https://oefr.at/2020/01/09/kuckuckskinder-zur-haeufigkeit-von-ausserehelichen-vaterschaften/
Kindsmord – Verzweiflung, Not, geistige Verirrung? https://oefr.at/2018/07/10/kindsmord-verzweiflung-not-geistige-verirrung/
i Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart (Ausgabe letzter Hand, Leipzig 1793–1801), digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/Adelung>, abgerufen am 06.02.2021.
ii Goethe-Wörterbuch, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/GWB>, abgerufen am 06.02.2021.
iii Praktische Anwendung der in geistlichen Sachen (Publico ecclesiasticis) ergangenen Verordnungen, Von der Führung der Trauungs- Tauf- und Todtenbücher, Seite 286 ff. in: Schwerdling, Johann (Hg.): Praktische Anwendung …, Fünfter Teil, Krems 1817, online auf https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=pev&datum=1813&page=296&size=45, abgerufen am 6.2.2021
iv Hofkanzleidekret vom 21.10.1813 – Künftige Führung der Geburtsbücher, in: Politische Gesetze und Verordnungen 1792-1848, 1813 S. 95 ff., online auf https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=pgs&datum=1813&size=45&page=460 , abgerufen am 6.2.2021
v Wie iii, Seite 292
vi Wie iii, Seite 301
vii ebd.
Bild: Erzdiözese Wien, Pfarre St. Augustin, Taufbuch 01-13, fol. 32, 23.4.1873, Taufe der Maria Rod, online auf https://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/wien/01-st-augustin/01-13/?pg=35&fbclid=IwAR3cIztSFP_MQWdFBAbddfw-yNXxqcEz-o0N1waa12dDsDxNEPljk7Uw-P8 , abgerufen am 6.2.2021
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