Kindsmord – Verzweiflung, Not, geistige Verirrung?

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Kindsmord – tragische Tatsachen immer wieder in Matriken zu finden.

Ursachen für den Kindsmord gab es viele. Oft waren wirtschaftliche Zwänge die Ursache, die Eltern konnten das Kind nicht ernähren. Im 17. und 18. Jahrhundert nahm die Zahl der Morde an unehelichen Kindern zu. Der gesellschaftliche Druck auf die Frauen war groß, Heiratsbeschränkungen verhinderten auch oft eine eheliche Geburt.

Ausschnitt des Covers des französischen „petit journal“ aus dem Jahre 1908 (Moïse Polydore Millaud)

Mitte des 18. Jahrhunderts begann ein Umdenkprozess. Während verheirateten Müttern oft geistige Verirrung als Ursache der Tötung zugestanden wurde, wurde ledigen Frauen, die oft auch ihre Schwangerschaft verheimlichen mussten, egoistisches Handeln unterstellt.

Am 12. 10.1755 erließ Maria Theresia folgendes

Patent zur „Verhütung der Kindermordthaten“ 1)

Da die mehresten Kindermordthaten ihren Ursprung von daher nehmen, weilen die Kindermörderinnen ihre Schwangerschaft verschwiegen halten; dahero um diesen vorzubeugen, und den zu Fall gebrachten Personen alle Ursach zu Verrlaugnung ihrer Schwangerschaft zu benehmen.

1) Sollen dieienigen nicht besonders inhabituirt geschwächte Weibspersonen, welche ihre Schwangerschaft ihren Aeltern, Freunden, oder sonst iemand verläßlich entdecket, mit keiner öffentlichen Bestrafung angesehen, sondern in geheim auf leidentliche Art bestrafet, iene aber, welche ihre Schwangerschaft verhehlen, nicht nur wegen getriebener Unzucht, sondern auch wegen Vertuschung ihrer Schwangerschaft mit einer Ernstgemessenen Strafe beleget werden.

Damit aber derlei geschwächten Weibspersonen ihre allzuspäte, und unzeitige Schamhaftigkeit benommen werde; so sind

2) alle und iede gewschworne Hebammen bei ihren Eidespflichten verbunden, die ihnen sich vertrauende, und ihre Hilf zur Geburt ansuchende Weibspersonen, geheim, und verschwiegen zu halten, und solche niemanden bei Strafe des Meineides zu offenbaren.

3) Sind auch Se. Maiestät geneigt, die geschwängerten Weibspersonen, welche von ihren Buhlern durch Eheligung nicht wieder zu Ehren gebracht worden, sonsten aber sich ehrlich verhalten, auch ihre Schwangerschaft nicht vertuschet zu haben erweisen können, nebst ihrem Kind durch Ertheilung eines Diploms wiederum in den Stand der Ehre herzustellen, wessentwegen dieselbe sich bei den Landesstellen anzumelden, und die mittellose solche unentgeltlich zu erhalten haben werden, wohingegen iene, welche ihre Schwangerschaft, und Geburt verhehlet, und solche zu rechter Zeit veroffenbahret zu haben nicht erweisen können, derlei Ehrenverwahrung sich nicht zu erfreuen haben. –

So viel es aber die Verhehler oder Vertuscher der Schwangerschaft, deren zum Falle gekommenen Weibspersonen anbetrifft, da sind solche

4) die von der Vertuschung Wissenschaft tragende und solche nicht gebührend, wie hier unten § 7. bei den Haus- und Wirthsleuten die Ausmessung geschehen, anzeigende Personen, um so mehr aber iene, welche zur Vertuschung der Schwangerschaft Beistand leisten, ohne versichert zu sein, daß zur gefahrlosen Niederkunft das Behörige veranstaltet seie, wann sodann ein Kindermord erfolget, mit ernstgemessener Strafe zu belegn. –

Dann

5) iene Aeltern, und besonders die Mütter, welche ihren Töchtern einen allzu freien Umgang mit ihren Buhlern gestatten, und auf deren Schwängerung keine Acht haben, ia sogar wegen ihrer Niederkunft keine Sorge tragen, sondern über dieses die Schwangerschaft vertuschen, ingleichen iene Vormünder, und Anverwandte, welche entweder zulassend, oder auslassend zur Verhehlung der Schwangerschaft derlei unter der Obsorg stehenden, oder sich bei ihnen aufhaltenden Weibspersonen verhilflich gewesen, nach Ermessen des Gerichts zu bestrafen sein; iedoch sollen die Aeltern, wann sie nur zur sicheren Niederkunft ihrer Töchter die behörige Obsorge tragen, nicht verbunden sein, derenselben Schwangerschaft zu entdecken, dahingegen selbe, da sie wegen der sicheren Niederkunft die behörige Vorsorge nicht tragen wollten, ihre Schwangerschaft zu offenbahren, allerding schuldig, und gehalten sein sollen.

Wie zumalen aber viele Kindermordthaten von daher erfolget, weilen die Zuhalter eine solche geschwängerte Person boßhaft verlassen: so wird festgesetzt; daß

6) die Zuhalter und Kindesväter selbst, welche durch Versprechung der Ehe, oder doch in der Hofnung Weibspersonen zum Beischlaf verführen, nach deren Schwängerung aber selbe entweder boßhaft verlassen, oder doch zu ihrer künftigen Niederkunft, und Versorgung ihres Kindes das Behörige ihrer Schuldigkeit nach nicht nicht veranstalten, mit einer Spinnhaus- oder herrschaftlichenarbeit (sic!), oder auch einer andern dem Verbrechen angemessenen bestrafung beleget, ingleichen die Kuppler, und Kupplerinnen, welche die gelegenheit hierzu verschaffet haben, Beispielmässig bestrafet werden sollen.

7) Sollen die in Diensten stehende Hausleute wie auch die Wirthsleute, welche von der Schwangerschaft ei ner geschwächten Weibsperson Wissenschaft haben, schuldig sein, solche zuvorderst, so viel möglich, in Geheim den Aeltern und Vormündern, Anverwandten, Hausvätern, oder Müttern anzuzeigen, und endlich, da sie wahrnehmen würden, daß zur Niederkunft die Vorsorge nicht getragen werde, solches der weltlichen Obrigkeit, oder Gericht zu entdecken, widrigenfalls, und da sie es unterlassen würden, selbe nach Ermessen des Gerichts zu bestrafen; auch allenfalls

8. Jene Obrigkeiten und vorgesetzte Richter, welche wider derlei Aeltern, Buhler, Vormünder, Anverwandte, Haus- und Wirthsleute die erforderliche Gerechtigkeit, wie es denselben zusteht, nicht administriren, oder in ienen Fällen, wo die Schwangerschaft einer geschwächten Weibsperson durch den Ruf, oder andere Inzichten vorkäme, alsogleich so viel möglich in Geheim, oder auch endlich nach Erforderniß der Umständen gerichtlich, und in zweifelhaften, und in ienen Fällen, wo die Schwangerschaft bei vorhandenen Anzeigungen und Merkmalen dennoch nicht freiwillig eingestanden werden wollte, mit Beiziehung geschworner Hebammen, oder anderer ehrbarer Weiber, und durch dieselben unentgeltlich vorzunehmen kommender Visitirung zu untersuchen, und darüber das weitere zur Verhütung alles für die leibesfrucht besorglichen übeln Erfolgs vorzukehren unterlassen würden, nach Beschaffenheit der Sache mit einer exemplaris chen Bestrafung unnachläßlich anzusehen sein werden; übrigens wird den Obrigkeiten, und Gerichten hiemit ernstlich anbefohlen, derlei geschwächten Weibspersonen, damit sie nicht in Kleinmüthigkeit verfallen, alle thunliche Hilfe zu leisten, und werden die Gerichte derlei vor oder nach der Niederkunft entdeckte zum Falle, und in die Inquisitzion gekommene Personen iedesmal genau examiniren, ob, und wer von ihrer Schwangerschaft, oder da allenfalls eine Kindsmörderinn in die Inquisizion gekommen, wer von dem Kindesmorde Wissenschaft gehabt, auch ob, und wie ein so anders verhehlet worden, damit alle an diesem oder ienem einige Schuld tragende zur gehörigen Bestrafung gezogen werden können. Daferne aber derlei schwangere Weibspersonen sich freiwillig bei Gericht angäben, diese sollen nicht nur gelinder, und wie hier oben schon §. I. die Vorsehung geschehen, bestrafet, sondern nach Beschaffenheit der Umständen derselben zu dem, was Rechtens ist, wider den Buhler schleunig verholfen werden.

Patent Böhmen den 13. Oktober 1755

1) Theresianisches Gesetzbuch, Band 3, Seite 248 ff., Nro. 415 – online: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=tgb&datum=1760&page=303&size=45 (10.7.2018)

Bild: Ausschnitt des Covers des französischen „petit journal“ aus dem Jahre 1908 (Moïse Polydore Millaud)

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