Die Pflegschaftsakten – eine Möglichkeit, Väter von unehelichen Kindern zu finden.

Ein Beitrag aus der Praxis von Prof. F. Gundacker:

Eine der wenigen Möglichkeiten, Väter von unehelichen Kindern in Erfahrung zu bringen, sind die Pflegschaftsakten. Vor allem dann, wenn die Mutter Alimentationszahlungen gegen der Vater angestrengt hat. Leider sind fast alle Pflegschaftsakten, die wir entweder auf den Bezirksgerichten oder in den Landesarchiven finden, vor ca. 1900 skartiert, also vernichtet worden.
Und gleich eine Warnung zu Beginn: die Einsicht kann Ihr bisheriges Geschichtsbild mitunter erheblich verändern! Hier drei Beispiele:

Vor vielen Jahren kam eine Amerikanerin zu mir: Ihre Mutter wurde in Graz unehelich geboren, der Großvater soll ein gewisser Georg S. gewesen sein, Großgrundbesitzer aus Triest. Die Mündelakten relativierten: der angebliche Großvater konnte in einem Gerichtsprozess belegen, dass er mit der Großmutter mehr als 9 Monate vor Geburt der Mutter keinen Kontakt hatte und somit unmöglich der Vater des Kindes gewesen sein konnte. In den Akten wurde aber auch vermerkt, dass die Großmutter mehrmals versucht hatte, ihre Kinder reichen Männern zuzuordnen und kam dadurch auch zweimal ins Gefängnis. Und die Kinderkarte lieferte pikante Details der Mutter bis hin zu den ersten pubertären Betätigungen……
Kurze Zeit darauf eine ähnliche Anfrage: Die Mutter eines Schweizers wurde in Wien 1914 geboren und soll aus dem Burgenland stammen, vom Vater war nichts bekannt. Und auch hier ergaben die Mündelakten ein umfassendes Bild: mit 5 Männern hatte sie jeweils 1 Kind, und erst dann heiratete sie. Aber die Geschichte war eine ganz andere als beim Beispiel davor: die 17jährige Großmutter kam 1913 aus Neudörfl im Burgenland nach Wien und wurde bald darauf schwanger. Der Vater, ein Maximilian Huber, wurde bald darauf in den Krieg eingezogen und fiel nur 3 Monate später. Und so blieb eine 18jährige Mutter in einer schwierigen Kriegs- und noch schwierigeren Nachkriegszeit alleine zurück und sank dabei sozial immer weiter ab. Aber der sehr umfangreiche Akt belegte auch die besondere Liebe zu ihrem ersten Kind: sie muss sehr unter dem Tod des Vaters des Kindes gelitten haben. Und wer weiß: vielleicht wäre eine ganz normale Familie daraus geworden, wäre er in diesem schrecklichen Krieg nicht gefallen.

 

1943 wurde in Wien Währing ein Herbert Neugebauer (Name geändert) geboren; die Mutter wanderte 1946 mit dem Kind und dem späteren Stiefvater in die USA aus. Die heiß geliebte Mamá starb 1966 und erzählte stets, dass der Vater, der in Mauer bei Wien 1915 geborene Benno Janda kurz vor seiner Geburt in Stalingrad gefallen war. Soweit die Erzählung. In Wien Mauer fand ich: nichts! Nichts zu finden bedeutet aber nur eines: die Geschichte war eine andere. Und auch hier gab es Pflegschaftsakten: Benno Janda wurde in Wien im Jahr 1900 geboren. 1923 heiratete er und bekam 1925 mit seiner Frau einen Sohn – also einen Halbbruder meines Auftraggebers, der erst 2002 starb. und 1943 gab der leibliche Vater am Standesamt an, dass er der von ihm außer der Ehe gezeugte Vater des Kindes sei. Er war also nicht bei Stalingrad gefallen, sondern hatte den Krieg überlebt (er starb erst 1980). Vater wie Mutter waren bei der Straßenbahn tätig, und erst als die Mutter nach einer mehrjährigen Liebesbeziehung abseits seiner Ehe erkannte, dass sie mit dem bereits verheirateten Mann keine gemeinsame Zukunft eingehen konnte, suchte sie sich einen anderen und wanderte aus.

Felix Gundacker, Genealoge ist erreichbar unter kontakt@FelixGundacker.at http://www.felixgundacker.at

Bild: Privatbesitz Leopold Strenn

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